Der Zaudermerz | Von Anna Zollner
Es begann am 14. Oktober 2025, in einer Turnhalle bei Brandenburg an der Havel: Ein Wort, gesprochen in der stickigen Luft einer Provinzhalle – „im Stadtbild haben wir noch ein Problem“ – genügte, um das Land in den Zustand eines kollektiven Fiebers zu versetzen. Nicht, weil der Kanzler etwas Revolutionäres sagte, sondern weil er das Banale im falschen Tonfall sprach.Von diesem Augenblick an entfaltet Der Zaudermerz sein Sezierbild einer politischen Klasse, die längst zum Patienten ihrer eigenen Rhetorik geworden ist. Berlin erscheint hier als Sanatorium der Macht – ein Ort, an dem Moral und Müdigkeit miteinander verkeilt sind, wo Minister therapieren statt regieren und jedes Interview zur ärztlichen Visite wird.Der folgende Beitrag ist eine bewusste Anlehnung an Thomas Manns Zauberberg – jenen Roman über Krankheit, Zeit und Selbsttäuschung, der heute unheimlich aktuell wirkt. Wie einst Hans Castorp verliert sich auch der moderne Kanzler in der dünnen Luft seiner Bedeutung, gefangen zwischen moralischer Überhitzung und intellektueller Kälte.Der Zaudermerz ist kein politischer Kommentar, sondern ein klinischer Bericht über ein Land, das sich selbst behandelt – und dabei vergisst, wofür es einmal gesund sein wollte.Ein Standpunkt von Anna Zollner.Es war der vierzehnte Oktober des Jahres zweitausendfünfundzwanzig, ein Tag von jenem bleigrauen Glanz, wie ihn nur die politische Zwischenzeit kennt, wenn die Blätter der Parteien in den Berliner Alleen zu Boden sinken und das Land, müde vom eigenen Diskurs, sich in die Chronik flüchtet. Er, der Kanzler, stand auf der improvisierten Bühne einer Turnhalle bei Brandenburg an der Havel, flankiert von zwei Bannern, die das müde Versprechen „Sicherheit und Ordnung“ in verblichenem Blau trugen, und blickte hinab auf jene Journalisten, die mit ihren Geräten auf ihn zielten, als ginge es nicht um Worte, sondern um Beweise. Er hatte gesprochen – nicht viel, nicht laut, aber doch so, dass es hallte. Von „Migration“ war die Rede gewesen, von „Fortschritten“, von „Problemen im Stadtbild“, ein Ausdruck, der ihm in der Kehle hängen geblieben war wie ein unverdauter Gedanke, halb zufällig gefallen, halb gewollt....https://apolut.net/der-zaudermerz-von-anna-zollner/ Hosted on Acast. See acast.com/privacy for more information.